Mittwoch, 12. August 2015

Schock, Trauer und Wut

Die ersten Wochen waren die schlimmsten. Ich konnte und wollte Matheos Tod nicht akzeptieren. Ich weinte und sagte meinem Mann das er zurück kommen soll. Ich möchte Matheo zurück haben. Holt ihn mir bitte einer zurück. Ich weinte jedes mal wenn ich Phantom Bewegungen in meinem Bauch spürte. Es fühlte sich an als sei Matheo noch da drin. Aber das war er nicht. Ich glaubte nicht das er Tod sei. Ich glaubte es erst, als ich ihn vor der Beerdigung noch einmal sehen durfte.

Ich versuchte ihn irgendwie fest zu halten. Versuchte Erinnerungen zu schaffen. Als mir klar wurde das ich kaum greifbare Erinnerungen hatte um sie zu bündeln, brach ich wieder zusammen. Mein Mann hat es in diesen Wochen nicht einfach gehabt. Das einzige was mir half war Lesen. Ich wollte so viel Informationen über Neugeborenen Tod und deren Gründe haben wie ich nur kriegen konnte. Das gab mir das Gefühl mehr über dieses Schreckliche Schicksal zu erfahren. Ich hoffte antworten auf meine Fragen zu finden. Besonders auf die Frage: Warum?

Das einzige was ich in den unzähligen Büchern die ich las fand, waren gleichgesinnte. Auch Sie suchten nach den gleichen Antworten wie ich. Mir half es ungemein, zu verstehen was Trauer überhaupt ist. Ich bekam von vielen Seiten den Satz zu hören: "Such dir schnell Hilfe, damit es schnell besser wird und ihr damit umgehen könnt." Dieser Satz machte mich rasend vor Wut. Haben diese Menschen die das sagten, schon mal ein Kind verloren? Nein.
 
Niemand hatte auch nur eine Ahnung davon wie es uns beiden ging. Ich mache den Leuten keinen Vorwurf, denn wie soll man so etwas emotional nachempfinden können, wenn man von der Babyindustrie die perfekten Schwangerschaften und perfekte Babys suggeriert bekommt mit perfekten Geburten. Und von seinem Umwelt gewohnt ist, das Schwangerschaften immer glücklich enden? Man kann nichts erwarten aber auch rein gar nichts. Aber es verletzt wenn man behandelt wird als sei man Krank. Trauer ist keine Krankheit. Und die Trauer um mein Kind ist keine Krankheit. Ich zog mich mehrere Wochen zurück um die Leute nicht in die Situation zu bringen die falschen Dinge zu sagen und mich zu entlasten und zu schonen. Das einzige was ich brauchte war ein Foto meines Babys, meinen Mann und meine Mama. Mehr brauchte ich nicht die ersten Wochen.

Ich wollte wissen wie ist Trauer, was ist normal und haben die anderen Recht wenn Sie sagen ich muss schnell die alte werden? Werde ich jeh wieder die alte? Muss ich überhaupt je darüber hinweg kommen? Ein Buch von Hannah Lohtrop half mir hierbei sehr. Sie beschreibt perfekt die Phasen der Trauer in ihrem Buch und zeigt anhand Geschichten anderer Eltern, das jegliche Reaktionen normal sind. Das ich nie wieder die alte werde und das auch gar nicht muss und auch nicht soll. Nicht zu Trauern macht Krank. Nicht Trauern an sich wie viele dachten aus meinem Umfeld.

Der Satz "Depressionen bekommen" fiel ebenfalls oft in meinem Umfeld. Bei dem Satz bekam ich regelmäßig Aggressionen. Dazu kann ich sagen ich kenne mehr Menschen die aufgrund der immer schnelleren Welt und den Anspruch an ihr eigenes Leben Depressiv sind als die Frauen aus der Gruppe der Sternenkinder. Die Frauen denen so etwas schreckliches passiert, sind so starke Menschen. Natürlich las ich von Frauen die sich das Leben nehmen wollten aber viele von denen hatten generell ein schweres Leben. Und der Tod Ihres Babys war nur der Gipfel des Eisberges. Das ich ein Trauma davon getragen habe, bezweifle ich nicht. Welche Frau hätte das nicht die ihr Kind verliert?
 
Hätte ich diese Gruppe mit den tollen Frauen nicht gehabt, hätte ich meinem Umfeld sicher Glauben geschenkt. Nun war mir egal was andere denken. Ob ich nun einen Dachschäden hätte und nie wieder Freudig sein kann. Sollten sie das doch denken. Ich kannte 8.000 Frauen denen ein ähnliches oder gleiches Schicksal widerfahren ist und wir Trauerten gemeinsam. Wir waren nicht geisteskrank wie die Menschen glauben, die uns von außen ansehen wie ein Tier in einem Zoo. Wir sind starke Frauen die gemeinsam den schlimmsten Schicksalsschlag im Leben überleben werden. Denn wir kämpfen zusammen und geben uns halt. Die Quintessenz daraus war, das wir in der Gruppe die Augen vor der Tatsache was passiert war nicht verschlossen. Wir schauten der Trauer und dem Tod mutig ins Gesicht und gehen alle gemeinsam diesen schweren Weg. Der Weg durch die Trauer ist der Weg zur Heilung. Das müssen Menschen aus dem Umfeld lernen.

Ich finde es noch heute schlimm wenn jemand sagt:" Kommst du auch vorbei? Kein Angst, dich wird keiner Fragen oder Matheo erwähnen."

Ja, das ist ja das schlimme. Ich habe ein Baby gehabt. Einen Sohn der geboren wurde. Einen Sohn der geatmet hat. Einen Sohn der lebte und Teil dieser Erde war. Er hat existiert. Er hat einen Namen. Er hatte Füße, Arme und ein Gesicht zum verlieben. Warum darf und soll mich niemand ansprechen? Wieso wollt ihr es ignorieren, dass ich auch eine Mama bin. Bin ich anders nur weil mein Sohn nicht bei mir sein darf? Die Antwort darauf ist, das Leute die keinen Mut haben es gerne verdrängen wollen. Sie wollen mit dem Thema Tod nichts zu tun haben. Wie unsere Gesellschaft nun mal ist, wird der Tod verdrängt. Er gehört nicht an den Kaffeetisch als Gesprächsthema. Wir sind es gewohnt in der Materiell geprägten Westlichen Welt: Ist etwas Kaputt kaufen wir es einfach Neu.
Das ist auch der Grund für Depressionen. Wir sind es nicht gewohnt, dass der Tod in unser perfektes, ersetzbares Leben gehört. Ich möchte den Tod nicht mehr aus meinem Leben ausschließen. Ich habe gelernt ihn als meinen Begleiter anzunehmen. Er ist da. Er gehört zum Leben dazu. Er wird mich immer begleiten. Oder kann man es ignorieren das jeder einmal stirbt?

Wir Sterneneltern wollen über unsere Kinder sprechen. Es gibt nichts schlimmeres wenn ich Leute treffe und Sie mich angucken und tun als wäre nie was gewesen.

Umso mehr habe ich eine Hochachtung vor Mutigen Menschen, die mit mir ganz normal über Matheo sprechen. So als sei es das normalste der Welt. Und ich Liebe es wenn jemand seinen Namen sagt. Das ist wie Musik in meinen Ohren. Das lässt mein Herz und meine Augen lächeln.

Ich habe gelernt mich an diese Menschen zu halten und die anderen, die meinen Sohn nicht als wichtig erachten, zu ignorieren.

Ich habe nach vielen Wochen eine Erkenntnis gehabt. Ich war zutiefst Dankbar für mein Leben das ich leben darf. Es ist nicht selbstverständlich, das alle Organe in meinem Körper perfekt harmonisieren. Es ist nicht selbstverständlich, das ich noch nie richtig krank war, noch nie etwas gebrochen hatte. Es ist nicht selbstverständlich, das ich überhaupt Kinder bekommen kann. Ich war dankbar für meinen Mann. Ich Liebe keinen Menschen so sehr wie meinen Mann. Und nach all dem was uns passiert ist mit Matheo, war ich dankbar das mein Mann mir geblieben ist. Er wird nicht fort gehen. Ich war dankbar für die Gesundheit meines Mannes. Dankbar für seine Stärke an meiner Seite. Dankbar das er mir einen so hübschen Sohn geschenkt hat. Dankbar das ich Matheo kennenlernen durfte. Dankbar das meine Familie gesund ist. Ich war so Dankbar das ich Ehrfürchtig vor dem Leben wurde.

In der Zeit die ich zum nachdenken hatte wurde mir auch bewusst, dass es viel wichtigere Dinge im Leben gibt. Wir verschwenden so viel Zeit am Tag mit Dingen die uns nicht im Herzen berühren. Vorher lebte ich selbst mein eigenes Leben oft nicht mit Freude. Ich war so oft unglücklich beruflich gesehen. Das will ich künftig alles ändern. 
 
 
Matheo hat uns gezeigt was wirklich wichtig ist im Leben.

Kerzen für Matheo in der Kirche "Der Michel" in Hamburg




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